Zur Startseite

Besuch eines Poetry Slams - Dead & Alive

Im Publikum sitzen viele junge Menschen. Es wird laut gelacht, mit den Fingern geschnippt, gesummt, gejohlt und geraunt. So stellt man sich lebendiges Theater vor. Deshalb war es so wichtig, dass unter Einhaltung aller möglichen Sicherheitsvorkehrungen für die 10d des MGB ein sorgloser, lustiger und anregender Besuch eines Poetry Slams im Staatstheater Karlsruhe möglich war. Das Konzept Dead & Alive bedeutet, dass Slammer und Slammerinnen mit ihren Texten antreten gegen durch Schauspieler vertretene, bereits verstorbene Künstler, deren Texte auch heute noch wirken und von Bedeutung sind. Goethes Iphigenie auf Tauris (Sarah Sandeh) ist nicht nur „das Land der Griechen mit der Seele suchend“, sondern auch das der Perser oder der Syrer. Sie nimmt sich in der Auseinandersetzung mit Thoas das Recht zur unerhörten Tat heraus, nämlich einem König zu widersprechen. Goethes Verse berühren und Iphigenies Mut und Würde dienen als Vorbild. Rio Reisers (Heisam Abbas) Kapitalismuskritik zeigt Wirkung, vor allem bei der Gruppe vom MGB. Sie spenden im Verlauf der Performance sogar ihr Taschengeld. Der Rapper Mac Miller (Nico Herzig) begeistert durch seinen „serious shit“. „I spent a whole day in my head, do a litte spring cleaning“ - welch ein Bild! 

 Eigentlich sollte man Äpfel mit Birnen ja nicht vergleichen, aber genau dies tut man im Poetry Slam, da die Texte von sehr unterschiedlicher Natur sind und die persönlichen Vorlieben der Jury aufgrund zahlreicher individueller Faktoren wie Alter, Bildungsstand, Fremdsprachenkenntnisse oder Interessen doch sehr eigen sind. So passte der Text von Jonas Galm wie die Faust aufs Auge. Sein Lobpreis des Apfels fand besonderen Anklang, auch wenn nicht jeder nachvollziehen wollte, wenn er die Birne schmähte. Ein krasses Schmähgedicht mit den in der Slam Poetry typischen Reimhäufungen und double time Passagen bot Selina Seemann. Ihr gelang es, das überaus unappetitliche Thema Dick Pics (!) so darzubieten, dass man in der Verachtung der Absender nicht umhin konnte, diese zu bemitleiden und zu verlachen. Dass sie eine Meisterin auch der nachdenklichen und anrührenden Töne ist, zeigt sie in ihrem Text über die besonderen Momente des Lebens und das Echte. Yannick Steinkellner aus Graz gierte im Februar nach dem Ende der Pandemie und verarbeitete die Wut des freischaffenden Künstlers in einem Lobpreis des „geilen Impfsaftes“. Er erzielt mit seiner wiederholten Weigerung: „Ich will nicht mehr spazierengehen!“ ein verständnisvolles Nicken unter den Zuschauerinnen und Zuschauern, die sich selbst mit Schrecken an den Lockdown erinnern. Der junge Österreicher setzt sich in seinem zweiten Text mit dem Feinstaub in seiner Wahlheimat Bochum auseinander und tut dies in einer derart lyrischen Versiertheit und Eindringlichkeit, dass sich die Wendung ins Abstrakte und Existenzielle als wunderbar und folgerichtig erweist.

Die humorvolle und versierte Moderation (Moritz Konrad, Philipp Herold) trägt sicherlich einen entscheidenden Teil zum besonderen Reiz der Veranstaltung bei. Beide sind vom Fach und zeigen ihr Können mit eigenen Texten in der Anmoderation. So findet das Motto beim Slammen „Respect the Poets“ folgerichtig Ausdruck in der Begeisterung und dem Applaus des Publikums. Dass sich SuS beim Abschied so überschwänglich für einen gemeinsamen Theaterbesuch bei ihren Lehrkräften bedanken, ist ein Zeichen dafür, wie hungrig junge Menschen nach Kultur sind und sollte uns alle daran erinnern, wie wichtig uns die Kulturszene und die Kulturschaffenden sein sollten. (Soe)