Derniere für Theaterlehrer Michael Polty am MGB
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Die Theater-AG2 zeigt beeindruckende Inszenierung von "Turandots Rätsel"
Das Ensemble spielt an diesem Abend mit einer knisternden Spannung, einer Intensität, wie sie im Schultheater selten zu spüren ist. Es ist die letzte Inszenierung unter der Leitung von Michael Polty und die besondere Situation lässt sich in den kleinsten Gesten, Impulsen und Blicken erkennen.
Es ist ein trauriger Anlass und doch ist es eine große Freude, das Ergebnis dieser Stimmung auf der Bühne zu erleben.
Turandot ist eine grausame Herrscherin, ihr Status scheint felsenfest und umso beeindruckender ist die Art und Weise, wie Roxane Gültlinger den Verlust dieser sicher geglaubten Stellung ausspielt, ihn bis ins Detail ausfeilt. Flankiert wird Turandot von den ehemaligen Prinzessinnen Pnina (Franziska Stuhr) und Jiao (Ira von Neumann-Cosel), die, nachdem ihre Völker von den Chinesen unterworfen wurden, nun Turandots Sklavinnen sind. Die Anordnung wirkt wie eine Zange, die sich langsam schließt und der Herrscherin zunehmend zusetzt. Synchron und mit Exaktheit wirken sie auf die Herrscherin ein und untergraben ihre Autorität, die diese mit immer hilfloser wirkenden Drohungen zu stabilisieren sucht.
Die bis in die unscheinbar erscheinenden Rollen ausgefeilte Choreographie gibt jeder Spielerin und jedem Spieler Verantwortung. Jeder trägt zu den harmonischen und dynamischen Bildern bei, die auf der Bühne entstehen und sich in das Gedächtnis einbrennen. Der Oberrichterin (Mirjam Müller) gelingt es, über das ganze Stück hinweg die Freude an der Gewalt aufrecht zu halten. Den Fokus in irrer Lust auf das Schwert gelegt, verkörpert sie mit Kraft im Ausdruck die Methode der Unterdrückung, den Spaß an der Willkür. Der Vater Turandots, ein alter Narr, den Philipp Neuweiler mit Mut zur Lächerlichkeit zelebriert, hat schon längst nicht nur den Einfluss, sondern auch den Überblick über die Geschehnisse verloren. Er verschläft die entscheidenden Ereignisse und bleibt doch stets liebenswert in seiner Dümmlichkeit. Die weisen Frauen (Anna Ganz, Luisa Roth, Linda Heiß, Jana Germer) deuten in grotesker Weise den Zustand der Milch der heiligen Kühe und selbst die Himmelsrichtungen um. Alles ist verhandelbar, den jeweiligen Bedürfnissen anpassbar. Die Fakten werden beliebig interpretierbar und werden dem Willen der Mächtigen angepasst, eine Entwicklung, die in der aktuellen Tagespolitik ja durchaus ihre Entsprechung findet. Und so lassen die Berufung auf die Götter und die Aussage der Kanzlerin (Alexandra Maier), dass alle ihre Kriege heilig seien, alles rechtfertigbar erscheinen.
Die Inszenierung hat aber neben diesen gesellschaftskritischen Aspekten auch urkomische Momente, für die vor allem Kaylin (Caren Weinmann) zuständig ist, eine dem Puck nachempfundene Figur, welche die Autorität der Gewalt immer wieder durch Schabernack und freche Sprüche durchbricht. Im zweiten Teil des Stücks, der Prüfung, verliert Turandot dann endgültig die Kontrolle. Nicht mehr sie steht im Mittelpunkt, sondern die Leibwächterinnen (Selina Trittler, Christine Link), die von den beiden falschen Prinzen (Paul von Neumann-Cosel, Georg von Babo) unverhohlen umworben werden. Auch hier zeigt sich die symmetrische Anordnung nicht verwirrend, sondern deutlich verstärkend und sehr stimmig. Immer wieder zeigt sich die besondere Bedeutung, die Sprache für das Ensemble hat. Die Kühnheit der Formulierungen ist sicherlich dem prägenden Einfluss Michael Poltys zu verdanken und die Spieler setzen das mit großer Spielfreude, Exaktheit und Sorgfalt in der Artikulation um. Dennoch wirkt die Inszenierung nie statisch, da der Text keine der schon oben genannten heiligen Kühe ist. So lässt der Mut zur Improvisation das Spiel stets lebendig und wahrhaftig werden. In der Ode, die die Spielerinnen und Spieler nach den stehenden Ovationen des Publikums auf ihren Theaterlehrer anstimmen, ist die Rede von Welten, die im Laufe der Jahre geschaffen wurden. Michael Polty wird seinem Schöpferdrang nun am Eichendorffgymnasium in Ettlingen nachgeben und lässt lebendige und wunderbare Erinnerungen zurück.
Soedradjat