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Irrsinn ist etwas Wunderbares

pilk1Die Theater AG des MGB präsentiert Ken Campbells „Mr Pilks Irrenaus".
Das Konzept ist klar. Schwarz und weiß beherrscht ganz konsequent die Bühne. Und doch macht die Inszenierung der Theater AG unter der Leitung von Sven Reinwald schnell deutlich, dass es im Leben eigentlich nur Schattierungen von Grau gibt. Realität und Illusion sind in den Szenen nie so genau von einander zu unterscheiden. Das macht die Auseinandersetzungen mit den Minidramen Campbells so spannend, auch für die Spieler auf der Bühne.

Sie testen ihre Grenzen aus und überschreiten sie in der einen oder anderen Szene dann auch. Da erdrosselt ein Mann seine Freundin, ein anderer verschwindet gar in seinem eigenen Arschloch. „Mr Pilks Irrenhaus" ist jedoch nicht darauf angelegt, oberflächlich zu amüsieren, denn man darf die kurzen Episoden nicht als lustige Sketche missverstehen. „Jeder, der es wagt, sie als Sketche zu bezeichnen, wird erschossen" (Henry Pilk). 

Das Ensemble zeigt immer wieder auch die Abgründe der menschlichen Psyche und nimmt die Intention des Autors Ken Campbell durchaus ernst.

Wenn sich die Ehefrau dupliziert (Anna Feineisen, Theresa Koehnsen), dann ist das für den Ehemann eben nicht das reine Vergnügen. Wenn sich der Sohn (Felix Ewen) in ein Huhn verwandelt, führt das zur Einweisung der Mutter (Alicia Rabetllat). Wenn man sich es gerade in der bürgerlichen Existenz bequem gemacht hat, reißt ein Cowboy (Hagen Garhöfer) die Frau (Annika Dolt) mit seiner animalischen Anziehung aus der Absurdität dieser Existenz. Natürlich animieren diese Situationen immer wieder zum herzlichen Lachen. Auch was die vermeintlichen Spione (Lukas Ose, Jannis Fahrenkamp) auf der Bühne veranstalten, um Kommunikation als Ding der Unmöglichkeit zu entlarven, ist absurd und gleichzeitig amüsant. Den jungen Schauspielerinnen und Schauspielerinnen gelingt es, diese Gratwanderung zu gehen, ohne ins eine oder andere Extrem zu rutschen. Selbst wenn man sich als Zuschauer wegschmeißen möchte vor Lachen, wenn eine Ärztin (Nina Hofsäß) einen Ohrwurm entfernt, bleibt die Ernsthaftigkeit auf der Bühne spürbar. Kevin Campbell zeigt die menschliche Existenz immer wieder in seiner Fragwürdigkeit. Wenn eine alte Frau (Melissa Jarc) als „Dreckwechsler" auf ihre Stoffwechseltätigkeit reduziert wird, fragt der Zuschauer unweigerlich nach der Würde des Menschen. In der Auseinandersetzung mit diesen Minidramen findet das Publikum seine Würde jedoch wieder: Mit Hilfe des erlösenden Lachens, durch die Kreativität des Ensembles und eben auch in dem schlüssigen Konzept, das den irren Szenen einen klaren Rahmen gibt. Eine Erzählerin (Ulrike Schittenhelm) führt charmant durch den verrückten Theaterabend und bereitet das Publikum immer wieder vor. Die Inszenierung lässt den Zuschauer also nicht allein, sondern eröffnet provokante Einblicke in die menschliche Existenz. Diese verstören sicherlich teilweise und doch machen sie Hoffnung auf einen würdevollen Umgang. Denn da ist zum Beispiel die Ärztin (Hannah Scheu-Hachtel), die in mehreren Szenen eine Lösung anbietet. Aber wir wären nicht in Henry Pilks Irrenhaus, wenn nicht auch diese Lösungen einer Brechung unterzogen würden. Denn wer wollte schon ernsthaft den Hammerzeh einer zum Pflegefall gewordenen Mutter (Giuliana Ullo) wegsprengen?

Die Theater AG und ihr Leiter Sven Reinwald haben sich mutig in das Irrenhaus begeben und sich und dem Publikum damit ein großes Geschenk gemacht, denn wie sagt schon Henry Pilk: „Irrsinn ist etwas Wunderbares. Er darf nicht unterdrückt werden. Seine Unterdrückung führt zur Geisteskrankheit." In diesem Sinne waren die beiden Theaterabende am MGB ein äußerst gelungener und zugleich unterhaltsamer Beitrag zur geistigen Gesundheit.

Marc Soedradjat