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Theater AG2 präsentierte Eigenproduktion

Politiker, die ihre politischen Maßnahmen gern als „alternativlos" bezeichnen, Gruppierungen, die in Deutschland „national befreite Gebiete" schaffen wollen: ganz normale Verhältnisse oder Vorboten einer autoritär regierten faschistischen Gesellschaft? Dieser Frage widmete sich die Theater-AG2 des Melanchthon-Gymnasiums Bretten, die am vergangenen Wochenende unter der Leitung von Marc Soedradjat das Stück "Tsunami Hazard Zone" aufführte. ...mehr

Angelehnt an den bekannten Jugendroman „Die Welle" von Morton Rhue wird die Entstehung und Entwicklung einer neuen Bewegung, die sich selbst als „Tsunami" bezeichnet, dargestellt. Ihr Ausgangspunkt ist das Schulprojekt eines Abiturkurses, das den Anspruch erhebt, in der eigenen Schule auf allen Ebenen etwas verändern zu wollen, indem man als Gruppe für mehr Ordnung, Disziplin und Sauberkeit sorgt. Schon bald entfacht die Projektidee unter den teilnehmenden Schülerinnen und Schülern Begeisterung und zeigt erste Erfolge: ehemalige Mobbingopfer werden in die neue Gemeinschaft aufgenommen, der Vandalismus auf den Toiletten und die Verunstaltung des Schulraums mit Müll werden unterbunden, scheinbar unfähige, ausgebrannte Lehrkräfte umerzogen oder an der Ausübung ihres Berufs gehindert. Die damit einhergehende Uniformierung und Militarisierung der Tsunami-Bewegung, die Demütigung, Unterdrückung und Isolierung aufsässiger Schüler und Schülerinnen fallen angesichts dieser Erfolge nicht so sehr ins Gewicht. Selbst die Projekt- und die Schulleitung stellen aufkommenden Bedenken hintenan und geben grünes Licht für den Fortgang des Projekts mit dem Hinweis: „Die Außenwirkung ist entscheidend." Auf dem Höhepunkt der Bewegung werden Personen, die sich widersetzen, angeklagt, abgeurteilt und bestraft. Die offen faschistische Gesellschaft hat sich etabliert unter dem Motto: „Alle sind gleich! Der Tsunami ist alternativlos!" In der Tradition der Brechtschen Theatertheorie stehend wird in dieser anspruchsvollen Inszenierung der Gang der Handlung ständig durch Verfremdungseffekte unterbrochen. Hochgehaltene Schilder mit Titeln markieren die einzelne Abschnitte des Geschehens, die Distanz zwischen Bühne und Zuschauerraum wird von den Schauspielern häufig aufgehoben, indem sie sich direkt ans Publikum wenden oder gar in es hineingehen, Gesangs- und Musikeinlagen kommentieren das Gezeigte, Zitate allgemein bekannter Personen wie Adolf Hitler, Fidel Castro und Bernhard Bueb verweisen auf die Realität. Die Zuschauer werden gezwungen, die Ideologie und Mittel der Tsunami-Bewegung zu reflektieren und sich selbst zu überprüfen, wie anfällig man für faschistisches Gedankengut ist. Der Stoff stellt somit sehr hohe Ansprüche an die schauspielernden Schülerinnen und Schüler, die diese Herausforderung jedoch glänzend meistern. Es wäre ungerecht, eine einzelne Leistung aus diesem Ensemble hervorzuheben, denn alle Teilnehmer müssen immer wieder in schneller Folge die Rollen wechseln, Kostüme tauschen und unterschiedliche Stimmungsnuancen ausdrücken, was bis in Nebenrollen hinein überzeugend gelingt. Besonders gewürdigt wurden allerdings am Ende des Abends die Abiturientinnen und Abiturienten, die mit herzlichen Worten und einem großen Dankeschön für die geleistete Theaterarbeit der letzten Jahre verabschiedet wurden. Nicht verschwiegen werden soll an dieser Stelle das Ende des Stücks: Einzelne Mitglieder des Tsunami erkennen am Ende den gewaltsamen Charakter der Bewegung mit ihrem totalitären Anspruch und steigen aus. Freiheit und Individualität scheinen für sie im Zweifelsfall doch wertvoller zu sein als Unterdrückung und Gleichschaltung im Namen von Ordnung und Sauberkeit. Doch bevor das Ende zu versöhnlich wurde, gingen auf der Bühne die Lichter an und das ganze Geschehen wurde als inszenierte Fernsehshow enttarnt. Als ein Signal zur Beruhigung konnte dies aber vom Publikum kaum empfunden werden, eher als eine Transformation des Horrors auf eine andere, sehr moderne Ebene. Viel war an diesem Theaterabend gezeigt worden und doch so viele Fragen, über die nachzudenken sich lohnt, offen.