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Abitur 2015 Scheffelpreis

Den Scheffelpreis im Abiturjahrgang 2015 erhielt Lea Heitlinger. Hier finden Sie Ihre Rede, die sie im Rahmen der festlichen Zeugnisverleihung hielt.

Liebe Lehrer und Schulleitung,

liebe Eltern und Verwandte 

und vor allem liebe Mitabiturienten,

als ich erfahren habe, dass ich den diesjährigen Scheffel-Preis erhalten werde, musste ich zuerst an unsere schriftliche Abiturprüfung vergangenen März im Fach Deutsch denken. Wie wahrscheinlich die meisten von uns habe ich die Aufgabenstellung rund um die drei Pflichtlektüren gewählt: „Homo faber“ von Max Frisch, „Dantons Tod“ von Georg Büchner und „Agnes“ von Peter Stamm. Ich werde den Inhalt nicht noch einmal herunterbeten, da vielleicht doch einige die Bücher vor der Prüfung gelesen haben; zumindest kennt wahrscheinlich die Hälfte die zugehörigen Wikipedia-Artikel auswendig. 

Jedenfalls habe ich mir Gedanken darüber gemacht, welchen tieferen Sinn uns die Lektüre dieser drei Bücher vermittelt hat und wie wir sie auf unseren eigenen Schulalltag beziehen können. 

Zunächst ist mir die Notlandung Walter Fabers in der Wüste eingefallen. Die meisten von uns haben wahrscheinlich schon die ein oder andere Bruchlandung während unserer Schulzeit erlebt, für viele liegt diese vielleicht noch gar nicht so lange zurück mit der Matheprüfung.

Peter Stamm erzählt in seinem Roman „Agnes“ von der Beziehung der sehr unterschiedlichen Hauptpersonen. Der namenlose Ich-Erzähler schreibt eine fiktive Geschichte über seine Freundin Agnes und ihr Zusammenleben, die den Lauf der Dinge immer mehr bestimmt. Agnes wird zunehmend abhängig von der Geschichte und richtet sich nach den Vorgaben des Ich-Erzählers. Natürlich mussten auch wir uns im Laufe unserer Schulzeit an zahlreiche Richtlinien halten, z. B. Stunden-, Klausuren- oder auch Bildungspläne. Trotz dieser Rahmenbedingungen, die auch in Zukunft nicht ausbleiben werden, hatten wir immer noch Zeit für Abiparties oder auch unseren Abistreich und somit genug Freiräume für die eigenen Interessen und Hobbies.

In Dantons Tod erinnerten mich die unterschiedlichen politischen Clubs an unseren Schulalltag. Wie wahrscheinlich in jedem Jahrgang haben sich relativ schnell Gruppen gebildet; im Gegensatz zum Drama waren die wenigsten davon jedoch politisch motiviert. Trotzdem spielte es keine Rolle, ob man sich in der Raucherecke oder im Oberstufenraum in den Pausen traf oder ob der eigene Club aus 20 oder aus vier Leuten bestand, diese Freunde werden wir wohl am meisten vermissen und die Momente, die wir gemeinsam mit ihnen erlebt haben, werden uns wohl für immer in Erinnerung bleiben. 

Ein wichtiger Punkt, der sich in allen drei Lektüren findet, lässt sich meiner Ansicht nach am besten mit den letzten zwei oder sogar mehr Jahren verbinden: Jeder der Protagonisten befindet sich im Laufe des Geschehens an einer Stelle, an der er von sich selbst oder anderen überrascht ist. 

Walter Faber möchte sein Leben verändern, da er von seiner Tochter die irrationalen und gefühlsbestimmten Seiten des menschlichen Daseins gezeigt bekommen hat. Für ihn ist die Überraschung seine eigene Reaktion auf Neugelerntes und welche Konsequenzen diese Erkenntnisse mit sich ziehen. 

In „Dantons Tod“ akzeptiert der ehemals glühende Politiker Danton seinen unmittelbar bevorstehenden Tod; das Ende des Dramas zeigt sich ganz im Licht von Freundschaft, gegenseitiger Liebe und Respekt gegenüber Dantons Freunden und auch seiner Frau. Es wird deutlich, dass dies die zentralen Aspekte unseres menschlichen Daseins sind, die zählen, auch wenn wir sonst alles verlieren. 

Der Ich-Erzähler in „Agens“ ist überrascht von seinen Gefühlen für seine Freundin Agnes, die er sofort zu unterdrücken versucht und dies auch schafft. Die Beziehung scheitert schließlich an mangelnder Kommunikation und der fehlenden Bereitschaft seitens des Ich-Erzählers, die Gefühle und die Beziehung zuzulassen. Am Ende des Romans zieht sich der Ich-Erzähler wieder in seinen Kokon aus Einsamkeit und Isolation zurück; er hat seinen Überraschungsmoment nicht für sich genutzt.

Ich bin mir sicher, dass jeder von uns auch einen ganz persönlichen Überraschungsmoment in den letzten zwei Jahren erlebt habt, wo wir z.B. von unseren eigenen Fähigkeiten oder auch von Mitschülern erstaunt waren, die unsere Erwartungen übertroffen haben. Vor allem hoffe ich, dass wir diese Überraschungsmomente besser genutzt haben oder nutzen werden als die Protagonisten der Pflichtlektüren.

Genau diese positiven Überraschungsmomente werden uns, wie unsere Freunde, in Erinnerung bleiben. Wie Jonathan schon beim Abistreich gesagt hat: wir hatten eine wirklich schöne Schulzeit und wir haben unsere Zeit am MGB sehr genossen.

Trotzdem ist dieses Kapitel nun zu Ende und wir alle fangen etwas Neues und Unbekanntes an. Um es mit den Worten eines Lehrers auszudrücken: „Wir sind die Elite Deutschlands; uns stehen alle Türen offen.“ Wie elitär wir nun wirklich sind, darüber lässt sich streiten. Jedenfalls sind wir bestens auf unseren zukünftigen Lebensweg vorbereitet, denn wir können immerhin eine Sinus- von einer Cosinus-Funktion unterscheiden und den optimalen Standort einer Markise inklusive zugehöriger Stehlampe berechnen. Zumindest hätten wir das in der Matheprüfung können sollen.

Was man aber sicherlich sagen kann ist, dass unser Buch und unser Weg nicht wie der der meisten Hauptpersonen in den Pflichtlektüren endet, sondern dass wir eine komplett leere Seite vor uns haben. Ich wünsche jedem, dass er diese nach seinen eigenen Vorstellungen füllen kann und seine eigene Geschichte schreibt.

Nach dem Epilog unserer Schulzeit kommt nun wie in jedem richtigen Buch die Danksagung. Bedanken möchte ich mich im Namen des gesamten Jahrgangs bei unseren Lehrern, Eltern, Familien und Freunden, die uns in den letzten Jahren begleitet und unterstützt haben. Gleiches gilt natürlich auch für die Schulleitung. Zum Schluss möchte ich mich noch bedanken, dass ich den Scheffel-Preis überreicht bekommen habe, den sicher einige andere genauso verdient haben.

Vielen Dank und alles Gute!