Die Theater Ag2 präsentierte Shakespeares „Hamlet“
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Mutig in vielfältiger Hinsicht und in positivem Sinne war diese Inszenierung. Allein die Tatsache, sich an den schwierigen Stoff, das wohl berühmteste Drama der Welt zu wagen, fordert Respekt, denn der Plot ist mächtig. Und dann nahm sich die Truppe noch ganz selbstbewusst die Freiheit, mit dem Stoff zu spielen und ihn für sich zurechtzubiegen.
Im Programmheft war fast schon frech zu lesen: „Wir spielen, wie wir wollen. Zwei weibliche Hamlets (oh ja!), ein Ophilius statt einer Ophelia, drei Mütter usw. Wir nehmen uns nicht nur die Freiheit, Shakespeares Text zu kürzen, sondern auch mit ihm zu spielen. Übersetzt ist er ja bereits von Schlegel. Trotzdem glauben wir: Das ist unser Hamlet.“ Und der Mut wurde belohnt. Durch die Fähigkeit, die Charaktere der einzelnen Spieler*innen in den Figuren durchscheinen zu lassen, sahen die Gäste authentische Jugendliche, die trotzdem dem großen Dramatiker Respekt entgegenbringen. Um mit Hamlet zu sprechen, schienen sie zu sagen: „Mir gilt kein Scheint. Was über allem Schein ist, trag ich in mir“. Man spürte, dass das Ensemble sich engagiert und ernsthaft mit dem Stück und seinen Figuren auseinandergesetzt hat und trotzdem jeder Figur den eigenen Stempel aufzudrücken gewillt war.
Hamlet erscheint als zerrissener Charakter, der alles andere als zögerlich ist. Er macht sich das Schauspiel bewusst zu Nutze und agiert aus dem Schutze des Wahnsinns heraus, um seinem Rachegedanken zu folgen. Die beiden weiblichen Hamlets (Burcu Kaya und Saskia Nijman) erschlagen nicht nur die facettenreichen Polonias (Malin Grube, Elisabeth von Babo, Sofie Steinbrenner) auf der Bühne, sondern hauen mit ihrem kraftvollen Spiel das Publikum förmlich um. Sie spielten am Limit und darüber hinaus und zeigten dadurch ganz bewusst die Gefahr des Schauspiels, das Hamlet im Drama selbst formuliert. Es hat nämlich durchaus zerstörerisches Potential. In diesem Spiel des Wahnsinns ist Hamlet zwar völlig befreit, das Spiel fördert jedoch auch die aggressive Seite der Figur zutage. Die entlarvende Macht des Schauspiels ist Teil des Plans, den Hamlet schmiedet, um seine herrlich intrigante Stiefmutter Claudia (Désirée Renz) zu entlarven. Eine der eindrücklichsten Szenen war die Beerdigung des sensiblen Ophilius (Felix Rebmann). Hier kommt es zum Wettstreit mit dessen Schwester Laerta (Stephanie Billes) darum, wer tiefer um diesen trauert. Schmerz und Wahnsinn trafen hier äußerst intensiv aufeinander. Den Schmerz zeigte Hannah Steinbach in der Rolle der Mutter Hamlets intensiv und doch voller Nuancen.
Einige Szenen in Shakespeares Drama waren in ihrer Brutalität sicherlich eine Herausforderung für Publikum und Ensemble. Dennoch erschien diese Aggressivität nie als plumper Schockmoment. In einem herzzerreißenden Epilog zeigte Horatia (Paula Breitschwerdt) eindrücklich, dass der Rachegedanke zu nichts als Zerstörung führt. Diese entscheidende Botschaft des Dramas stand über allem und bewegte das Publikum sichtlich.
Trotz allem kam die Freude in dieser Inszenierung nicht zu kurz. Man lachte herzlich über die Schauspielaspiranten, die singenden Totengräber und die für Shakespeare so typisch lächerliche Schauspieltruppe, die am Hofe Helsingörs gastierte.
„Hamlet“ ist ein Stück, das sowohl die Ernsthaftigkeit des Schauspiels fordert als auch immer wieder die Lust am Spiel. Diese Freude und Begeisterung versprühte das junge Ensemble in jedem Moment dieser komplexen und doch mitreißenden Inszenierung und darüber hinaus. Da ist eine Truppe über das Jahr zusammengewachsen, das nur unter echten Tränen Abschied von „ihrer“ Hamlet nehmen konnte.