„Liebe, Zoff & Nachtigall“, die jüngste Produktion der Theater-AG² am Melanchthon Gymnasium
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Zwei Theaterkonzepte treffen wie die verfeindeten Familien Capulet und Montague aus Shakespeares „Romeo und Julia“ aufeinander. Sie scheinen zunächst nicht miteinander vereinbar und am Ausgang soll der Zuschauer entscheiden, welches dieser beiden Konzepte er bevorzugt. Doch das ist eigentlich unmöglich, denn auf der Bühne hat sich gerade eine Verbindung entwickelt, die fast schon magisch zu nennen ist.
Da sind auf der einen Seite die „Theateresoteriker“, die sich im Massagekreis einstimmen, in Einfühlungsübungen die Energie fließen und gemeinschaftlich die Idee den Regisseur sein lassen. Doch vor lauter Hinführungen und Improvisationen verliert die Gruppe das eigentliche Ziel, nämlich die Aufführung aus den Augen. Auf der anderen Seite stehen die streng und eng geführten Disziplinfreaks, bei denen die Regisseurin diktatorisch lenkt und der Fokus stets auf der anvisierten Aufführung zu liegen scheint.
„Liebe, Zoff & Nachtigall“ ist ein äußerst intelligentes und reflektiertes Stück Theater. Dies zeigt sich nicht nur in der Simulation einer literarischen Expertenrunde, in der auf höchstem Niveau in grotesker Weise über Theater gefachsimpelt wird, sondern in der Demonstration unzähliger Methoden der Theaterpädagogik. Fast unmerklich weicht das anfänglich milde Lächeln der Zuschauer über die tägliche Arbeit an Präsenz, Fokus oder Bewegung der Einsicht in die Leistungsfähigkeit und Funktionalität dieser Methoden. Die Energie fließt in der Esoterikgruppe tatsächlich; aus der Improvisation entwickelt sich eine den Spielern eigene Szene, die immer wieder neu entsteht, authentisch und wahrhaftig ist. Die Begegnungen zwischen den möglichen Hauptdarstellern erzeugen durch die Potenzierung den Zauber des ersten Kontakts und damit eine faszinierte Spannung unter den Zuschauern. In der atmosphärisch dichten Waldszene erweist sich der Einsatz von Licht und Ton sowie die Rhythmisierung des Sprechens als schlicht bezaubernd.
Mit fortschreitender Handlung zeigen sich vermehrt die Verflechtungen zwischen Shakespeares Drama und dem Alltag der Schüler. Dadurch erhält der Text Raum im Leben der Spieler und wird dadurch lebendig – ein Ziel, das der normale Unterricht zum Leidwesen aller Beteiligten zu oft verfehlt. Shakespeares Sprache kommentiert immer wieder äußerst treffend die Ereignisse und Entwicklungen innerhalb der Ensembles und so fragt sich der Zuschauer des Öfteren, ob er jetzt Zeuge einer Aufführung von „Liebe, Zoff & Nachtigall“, „Romeo und Julia“ oder der Realität ist.
Nach der aggressiven Auseinandersetzung zwischen den zwei Gruppen und ihren Konzepten, die natürlich den Zwist der Familien Capulet und Montague spiegelt, erkennen die Leiterinnen an einem Tiefpunkt ihrer Arbeit, ja am befürchteten Abgrund des Scheiterns, dass nur die Kombination von Disziplin und Harmonie und die Liebe zum Theater Erfolg verspricht. Es handelt sich also, und das ist wohl die Lehre dieser Inszenierung, um „zwei Häuser, gleich an Würde und Gebot“.
So werden die zentralen Szenen des Dramas von William Shakespeare folgerichtig in einer kontrastreichen Collage äußerst reizvoll dargeboten. Hier begeistern vor allem die Tanzchoreographien. Das Versprechen „Wir bessern gern, was noch zu bessern ist“ braucht der geneigte Zuschauer in dieser Inszenierung kaum einzulösen. Am Melanchthon Gymnasium hat sich Dank der Arbeit von Theaterlehrer Michael Polty eine eingeschworene Theatergemeinde gebildet, ein Ensemble von 27 Schülerinnen und Schülern, das eine Spielverschwörung gebildet hat und diese mit ungeheurem Engagement und Können auslebt.
Marc Soedradjat