Theater AG2 präsentiert Eigenproduktion
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Tsunami Hazard Zone
Wir, die Theater AG2 des Melanchthon-Gymnasiums Bretten, schicken unsere Versuchskandidaten nicht ins Dschungelcamp, nicht auf die Insel und nicht in den Container. Wir beobachten sie in dem viel spannenderen Biotop Schule. Hier zeigt sich, wie anfällig die Probanten für faschistisches Gedankengut sind. Dass sie bereit sind, im Dienste der Gemeinschaft und der Transparenz anders Denkende zu unterdrücken. Dass sie bereit sind, sehr weit zu gehen, wenn ihnen das Ziel lohnend erscheint und der Zweck die Mittel heiligt.
Unsere Hypothese lautet: Im 21. Jahrhundert ist das starke Subjekt der Moderne eine Illusion!
Der Einzelne wird „liquide“ und diese Freiheit lässt ihn in Panik verfallen. Ausdruck dieser Panik ist der Versuch, in der digitalen Gemeinschaft aufzugehen und sich zumindest dort als Teil der großen, gleichen Gemeinde einzurichten. So meldet sich das verunsicherte Subjekt im Netz zu Wort, kreiert ein Individuum, das er glaubt kontrollieren zu können und das sich in Hassausbrüchen, den so genannten Shitstorms, zu Wort meldet. Hier kann der Einzelne sich, ohne Verantwortung für das von ihm Geäußerte übernehmen zu müssen, seinen Gewaltfantasien ungehindert hingeben.
Der Text ist der Protagonist und jeder kann jeden Text sprechen. Jeder scheint jede Rolle übernehmen, seine Rollen ständig wechseln zu können. Jeder ist ersetzbar. Doch dadurch verliert sich der Einzelne im Text, der über die Köpfe hinwegschwappt wie eine Welle.
Der Tsunami soll alles erfassen und ist Ausdruck einer Zerstörungs- und Erneuerungsfantasie, die, geboren durch die Unzufriedenheit, zunächst alle erfasst. Doch die Hoffnung auf eine mündige und souveräne Existenz wird nicht aufgegeben. „Den täuschenden Schein des Egalitären und die Gleichheit der User“[1] stellt unser Stück in Frage. Im Angesicht des Tsunami gibt es noch standhafte Subjekte, die sich wehren. Sie sind die Bremser, die sich der Entwicklung entgegen stellen.
Auch wenn die Kraft der Masse, die Illusion von der Egalität und der Reiz der Ordnung eine starke Anziehung ausüben, beweist sich das starke Subjekt in der Gefahrenzone, der Tsunami Hazard Zone.
Entstehung des Stücks:
Am Anfang stand die fast aussichtslose Suche nach einem geeigneten Stück für ein riesiges Ensemble. Zunächst fiel die Wahl auf „Die Welle“ von Morton Rhue. Die Auseinandersetzung mit dem Roman und der Bühnenfassung machten aber schnell deutlich, dass im Jahr 2012 einer Umsetzung des Textes auf unserer Bühne mehrere Gründe entgegenstehen. Die grundlegende Idee, dass Jugendliche in der Schule mit dem Thema Totalitarismus im weitesten Sinne konfrontiert werden, wurde jedoch beibehalten.
Die Lektüre eines Artikels in der ZEIT mit dem Titel „Bullerbü in Braun“, die Ereignisse um die NSU und die Situation in der Bildungspolitik motivierten zusätzlich dazu, einen eigenen Text zu schreiben.
Eine Voraussetzung sollte dieser Text unbedingt erfüllen: Alle Ensemblemitglieder sollten gleichberechtigt sein. Keiner sollte von der Bühne gehen müssen und keiner sollte das Gefühl haben, dass die auf der Bühne Verbliebenen wertvoller, respektierter oder wichtiger sind. Dadurch ergab sich eine enorme Verantwortung aller Beteiligten, denn jeder musste eigentlich immer bereit sein, verschiedene Rollen zu spielen. Über eine kritische Auseinandersetzung mit dem Text, dem Spiel, der Aussage oder den theatralischen Mitteln würden wir uns sehr freuen. Es lebe der Diskurs!