„Die Odyssee oder: Telemach allein zuhaus“
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So wünscht man sich Schultheater! Dies war die einhellige Meinung des Feedbackteams über die Premiere des Stücks: „Die Odyssee oder: Telemach allein zuhaus“ während der 32. Schultheaterwoche am Sandkorn Theater in Karlsruhe. Das junge Ensemble unter der Leitung von Sven Reinwald ging also mit viel Selbstbewusstsein in das Heimspiel am Melanchthon-Gymnasium. Nach der überaus positiven Rückmeldung der Theaterprofis einige Tage zuvor konnte man noch befreiter aufspielen. Und dies genossen die zahlreichen Zuschauer dieses Wochenende sichtlich. Es war ein großes Vergnügen, die Geschichte um Telemach, den Sohn des Odysseus und der Penelope, zu verfolgen. Zusätzlich beeindruckte die Tatsache, dass es sich um ein von den Schüler*innen und ihrem Theaterlehrer selbst entwickeltes Stück handelt, das wie aus einem Guss wirkte.
Sämtliche Schülerinnen und Schüler der Unterstufen Arbeitsgemeinschaft standen zum ersten Mal am MGB auf der Theaterbühne, was man aber kaum glauben wollte angesichts der Sicherheit im Umgang mit zahlreichen theatralen Mitteln. Sven Reinwald legt mit Recht großen Wert darauf, diese Mittel nicht nur exakt einzuüben, sondern auch wirksam und gezielt einzusetzen. Eindrucksvoll mit der passenden Musik untermalt wurden Kampfszenen in Zeitlupe choreographiert, gingen die Figuren ins Freeze und kreierten starke Standbilder. Man sprach im Chor, um die Bedeutung des Textes hervorzuheben und spielte überhaupt mit vollem Körpereinsatz. Stimmig wirkte auch der Einsatz von Requisiten und Bühnenbild, beide wurden reduziert und multifunktional verwendet, was der Gesamtproduktion zusätzlich eine einheitliche Kontur verlieh.
Die Probleme des auf den Vater wartenden Telemach, der auch mit seiner Mutter in Konflikt gerät, wurden auf vielfältige Weise dargestellt. Dabei gelang es der Truppe immer wieder, auch eigene Impulse einzubringen und gekonnt Akzente zu setzen. Fragen wie „Wann ist ein Mann ein Mann?“ und „Was ist ein Held?“ wurden nicht nur in den Raum gestellt, sondern von den Sechst- und Siebtklässler*innen auch ganz individuell beantwortet. Dadurch wurde der Mythos lebendig, ganz persönlich und für alle nachvollziehbar erzählt.
Besonders begeistert wurden die Gesangs-, Tanz-, Rap- und Jonglageeinlagen gefeiert. Wenn sich die Freier der auf ihren Ehemann Odysseus wartenden Penelope anbiedern, ist das nicht nur sehr witzig gestaltet, sondern zeigt auch, welch tolle Talente in den Spieler*innen schlummern und im Theater ausgelebt werden können. Wenn männliche Sirenen im Glitzerjacket „La Macarena“ singen und das ganze Ensemble a capella Grönemeyers Hit „Männer“ intoniert, dann reißt das alle im Publikum mit. Die Inszenierung glänzt durch humorvolle Einfälle, die mit großer Lust und Spielfreude umgesetzt wurden. Odysseus verlangt zum Beispiel immer wieder, dass seine Gefährten „seine“ Abenteuer wie im Theater nachstellen, was meist nicht auf große Begeisterung bei diesen stößt. Und gerade dieser Widerwille wurde mit Witz und großem Einsatz dargestellt. Die Spielidee, die Abenteuer des Odysseus nicht direkt, sondern nur als nachgestellte Szenen zu zeigen, ermöglichte den Schauspielern dabei zusätzlich das ironische Spiel mit den Erfahrungen und Übungen aus dem Schauspielkurs: Wenn Odysseus zum Beispiel mehr Körperspannung fordert, Untertanen, die aus der Rolle fallen tadelt oder schlicht „Fokus!“ ruft, entsteht ganz nebenher Theater im Theater.
Die ernsten Aspekte fanden ebenso Beachtung. Natürlich gibt es viele Vorteile, wenn man als Jugendlicher allein zu Hause ist, so wieTelemach. Aber die Sehnsucht nach einer engen Beziehung zu den Eltern steht dann eben doch nicht nur im Raum, sondern belastet Telemach ganz entscheidend.
Angesichts der kurzweiligen und unterhaltsamen Inszenierung hätte man sich gewünscht, der gute Odysseus wäre noch länger auf Irrfahrt geblieben. So aber muss man sich eben etwas gedulden, bis das Ensemble nächstes Jahr wieder ein Projekt angeht und sich damit erneut in das Abenteuer Theater stürzt. (Text u. Bilder: Soe)